Rainer Hercher

Rainer Hercher

"Zum Humanismus bin ich über meine Gegnerschaft zu den Kirchen gekommen. Mein Weltbild über die Kirchen sah bis vor einigen Jahren in etwa so aus: Es gibt zwar keinen Gott (daran hab ich nie geglaubt, selbst als Kind hatte ich meine Zweifel) aber die Kirchen haben schon ihre Berechtigung. Sie tun ja schließlich viel Gutes. Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime, Behindertenwerkstätten, internationale Hilfsorganisationen usw.

Gut, sie haben wohl im Mittelalter und in der Neuzeit ein paar Ketzer und Hexen verbrannt, aber so schlimm war das doch gar nicht. Die Kirchen haben viel zu unserer Kultur beigetragen, freiheitliche und demokratische Ideale hochgehalten und gegen despotische Herrscher verteidigt. Arme und Benachteiligte unterstützt, die Sklaverei bekämpft. Wissenschaft und Philosophie beflügelt, Bildung breiten Massen zugänglich gemacht. Sie haben ihre Stimme erhoben gegen Gewalt und Ungerechtigkeiten, Kriege verdammt und Kriegstreiber verurteilt.Das dürfte das landläufige, übliche Kirchenbild der großen Masse sein. Und dennoch ist es  in großen Teilen unzutreffend. 

Unabhängig von der durch die historische Forschung belegten Tatsache, dass die Grundlagen des christlichen Glaubens fast ohne Ausnahme gefälscht, erfunden oder geklaut sind, stellt sich die Frage nach der Bewertung der Kirchen und ihrer Rolle in der Vergangenheit und in unserer heutigen Gesellschaft. Und die sieht, traut man sich, hinter die Kulissen zu blicken, alles andere als positiv aus:

Die sozialen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft werden nicht oder nur zu einem geringen Teil von ihnen finanziert, die Kirchensteuer ist dafür gar nicht vorgesehen. Krankenhäuser z.B. werden finanziert durch Pflegesätze, Krankenkassenbeiträge und öffentliche Zuschüsse. Die Opfer der Kirchen, nicht nur im Mittelalter/in der Neuzeit, gehen in die dreistelligen Millionen. Die kulturelle Entwicklung fand statt trotz und nicht wegen der Kirchen. (z.B. war die Oper lange Zeit von der Kirche verboten; der Index der verbotenen Schriften ist nur ein weiteres Beispiel für die psychische und kulturelle Unterdrückung durch die Kirchen. Dieser wurde erst 1966 (!) abgeschafft). Freiheitliche und demokratische Ideale mußten gegen erbitterten kirchlichen Widerstand erkämpft werden. Menschenrechte und Demokratie wurden bis in die 1960er als Teufelswerk verurteilt, heute tut die Kirche gerade so, als hätte sie´s erfunden. Getreu dem Motto: „Was die Kirche nicht verhindern kann, das segnet sie.“ Kurt Tucholsky.

Mit despotischen Herrschern hat sie gerne gemeinsame Sache gemacht, um das kleine Volk auszupressen. Die Sklaverei ist nur eine der Schandtaten, an denen die Kirche glänzend verdient hat. Mit ihrer Abschaffung hatte sie nichts zu tun, im Gegenteil, sie wollte die Sklaverei  als wichtige Einnahmequelle erhalten. Wissenschaft und Philosophie hat die Kirche bekämpft und behindert wo sie nur konnte, denn die Wahrheit hat sie schon immer fürchten müssen. Bildung und Freiheit wurden systematisch verhindert. Die meisten Kriege, die über die Menschheit hereingebrochen sind, waren religiös motiviert, viele von den Kirchen angezettelt, um Macht, Geld und Einfluß zu mehren. So haben sich die Kirchen z.B. in den letzten Friedenstagen vor dem ersten Weltkrieg als üble Kriegstreiber erwiesen und auch dem zweiten Weltkrieg standen sie alles andere als ablehnend gegenüber. Franco, Hitler, Mussolini, allesamt wurden von Rom gestützt!

Angesichts der düsteren Kirchengeschichte ist es unerträglich, dass sich deren Vertreter heute als Hüter von Recht und Moral aufspielen. Die gesamte Palette der menschlichen Grausamkeiten wurde auf eine Weise perfektioniert, die wir uns heute (zum Glück) gar nicht mehr vorstellen können. Und diese Kirche wird heute aus allgemeinen Steuertöpfen finanziert, wird von Politik und weiten Teilen der Gesellschaft hofiert und protegiert. Deren Vertreter sitzen in Ethikkommissionen und Rundfunkräten, bekommen kostenfreie Werbesendungen in TV und Radio, bezahlt von unseren Rundfunkgebühren. Sie werden mit Milliardenbeträgen aus der Staatskasse subventioniert, und tun dabei so, als würde ohne Kirchen der Sozialstaat zusammenbrechen. Ihren Mitarbeitern wird das allgemeine Arbeitsrecht vorenthalten, die Kirchen mischen sich sogar in deren Privatleben ein. Und wenn Kirche über Ethik schwadroniert, dann wackelt der Schwanz mit dem Hund.

Es ist ein Wunder, daß wir trotz Kirche heute einen aufrechten Gang haben. Eine boshaftere Kriegserklärung an Menschlichkeit, Freiheit und Menschenrechte als die des Christentums der letzten 2000 Jahre kann man sich doch gar nicht vorstellen. Wir müssen froh sein, um jedes Stück Freiheit, das wir den Kirchen im Speziellen und den Religionen im Allgemeinen abtrotzen. Ich kann nur hoffen, daß mehr und mehr Menschen aufwachen und hinter die Kulissen schauen. Und das lässt sich fast ein zu eins übertragen auf die anderen “großen” Weltreligionen. Sie sind von Menschen (genauer: Männern) gemacht, um über andere Menschen Macht auszuüben.

Meine persönliche Schmerzgrenze ist weit überschritten und es ist höchste Zeit, dass die Kirchen als das erkannt werden, was sie wirklich sind: Organisationen, die es über Jahrhunderte hinweg durch übelste kriminelle Energie zu schier unermesslichem Reichtum und gewaltiger Machtkonzentration gebracht haben. Ein paar wenige Kirchenfunktionäre machen sich ein angenehmes Leben auf Kosten vieler kleiner Gläubiger und auch der nicht gläubigen Menschen. Die Methoden der Kirchen haben sich geändert, die Ziele jedoch nicht: Geld und Macht. Deshalb setze ich mich dafür ein, über Kirche, Christentum, Religion & Co. aufzuklären. Für eine konsequente Trennung von Staat und Kirchen, für eine echte Religionsfreiheit, die auch das Recht auf Freiheit von der Religion beinhaltet."

Rainer Hercher

Freiburg/Berlin 2012-09| 2021-11-25 eF