Hansjörg Albrecht

Hansjörg Albrecht

... ich kenne viele Christen, die überwiegend humanisitische Ideen vertreten ...

Selbstdefinition

Evolutionärer Humanismus. Auch in der Doppelbedeutung, dass mein Verständnis von Humanismus evolutionäre Prozesse durchläuft.

 

Entscheidende Erfahrungen

Die Entwicklung eigenständigeren Denkens durch persönliche Begegnungen, Krisen, Gespräche mit MentorInnen und FreundInnen, sowie die kognitive Beschäftigung mit Systemischen Theorien, Philosophie, Kirchengeschichte, Humanismus und Evolutionstheorie.

Als langjähriger Mitarbeiter der Diakonie kamen für mich Konflikte rund um meinen Austritt aus der Evangelischen Kirche hinzu. Hier stieß ich auf das GerDiA-Projekt, dem ich mich sehr verbunden fühle.

Elitär

Elitäre Ein- und Darstellung (Arroganz, Verwendung abgehobener Sprache, „belehren wollen“, ...) fördert Unverständnis und reflexartigen Widerstand. Bei anderen „Eliten“ ebenso wie bei wenig gebildeten Menschen. Das sehe ich allerdings nicht als isoliertes Problem von Humanisten/innen, sondern als allgemeines Kommunikationsphänomen. Auch Wissenschaft kann sehr elitär betrieben und kommuniziert werden – muss aber nicht!  Mit KORTIZES – dem Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs bieten wir in Nürnberg schöne Alternativen zum Elfenbeinturm der Wissenschaften.

Auch im persönlichen Gespräch kann anschlussfähig kommuniziert werden, wenn man bereit ist „die Welt des/der anderen“ ernsthaft zu erforschen, um dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede klar heraus zu arbeiten. Solche Dialoge können „Einladungen zu humanistischen Sichtweisen“ sein, wobei mir jede Art der Missionierung fremd ist. Selbstverständlich gehört auch dazu, selbst offen zu bleiben und Anregungen des Gegenübers reflexiv zu prüfen.
 

Religiöse Zwänge

Ja. Durch ein sehr christlich geprägtes, aber auch tolerant-friedliches Elternhaus waren die christlichen Zwänge spürbar, allerdings in milder Form.

Als Mitarbeiter der Diakonie lernte ich die Zwangsmittel des kirchlichen Arbeitsrechtes kennen. Diese kritisierte ich bei meinem Kirchenaustritt durch öffentlichen Protest gegen Diskrimierung. Dabei war ich letzlich überrascht, wie leicht Kirchen- und Religionskritik zu üben ist und welch schwache Argumente Gläubige bemühen müssen, um ihren überzogenen gesellschaftlichen Einfluss zu verteidigen.

Ich war lange Zeit existenziell auf meinen Arbeitsplatz angewiesen und darum nicht immer in der unabhängigen Lage, meine Kritik deutlich zu äußern. Inwischen ist mir das möglich und ich bin mit Freude - bei respektvoller Behandlung von Personen - respektlos gegenüber inhumanen, undemokratischen und autoritären Ideen.

Konkrete Eigenerfahrungen mit Religiosität

Ich bin christliche sozialisiert, durch Familie, Kindergottesdienst, christliche Jugendarbeit, durchlief den größten Teil der Diakonenausbildung in Bayern (inklusive theologischer Ausbildungsfächer) und habe deshalb vielfältige Eigenerfahrungen mit religiösen Settings. Für mich wurde Glaube durch die nähere Beschäftigung allerdings immer fragwürdiger und führte zur wachsenden Sehnsucht nach einer wissenschaftlichen Weltsicht, Vernunft und humanem Miteinander.

Esoterik begegnet mir auf Schritt und Tritt. Gerade das sozialpädagogische Milieu ist esoterisch durchzogen. Von Homöopathie war ich zum Beispiel lange Jahre überzeugt, bis ich mich endlich selbst mit den Wirksamkeitsstudien befasst hatte.

Einen drängenden Wunsch nach Glauben und Esoterik spürte ich nie, mit klarem Denken und Argumenten fühle ich mich schon immer wohler. Nur dachte ich früher das sei ein persönlicher Mangel von mir ….

Glaubensfreie Alternativen

Für mich waren schon die christlichen Rituale nicht sehr bedeutsam, darum ist mein Streben nach Alternativen nur schwach. Sehr schön finde ich gemeinsames Musizieren, Tischgemeinschaften, Berg-, Rad-, Paddeltouren in Freundesgruppen und Familienfeiern als verbindende Gemeinschaftserlebnisse. Viel Wert lege ich auf Kunst, die ich tief genieße.

Freiheit, eigene Wünsche und Gedanken zu leben

Das ist eine meiner Leitfragen geworden. Entsprechend meiner Sozialisation im Sinne der protestantischen Arbeitsethik komme ich von der „Pflichtseite“ auf diesen Grat, habe aber längst begonnen die „Lusttäler“ für mich zu kultivieren. Ob das eine Balance ergibt? Ich übe mich in „Gratwanderungen“, die meinen Bedürfnissen und Leidenschaften, den unterschiedlichen Rollen und Aufgaben und meinem Beziehungs-Netzwerk gegenüber angemessen sind und praktisch funktionieren. Dazu gehören Irrungen, Ausrutscher und nicht selten Mühe, um einen individuellen Lebensstil aufrecht zu erhalten. Dadurch maximieren sich allerdings auch die Möglichkeiten neuer Erlebnisse und Erfahrungen.

Ganz praktisch bedeutete das, dass ich deutlich den Umfang der Erwerbs-Arbeit reduziert habe, damit ich den Menschen und Themen mehr Zeit widmen kann, die mir wichtig sind und Ressourcen für weitere Entwicklungsmöglichkeiten frei werden. Das kostete einigen Mut, existenzielle Ängste sind dabei nicht ganz zu vermeiden.

Zusammenhang zwischen Humanismus und Aufklärung

Für mich ist der Kondensationspunkt der Stichworte Aufklärung, Humanismus und Verantwortung die Eigen- bzw. Selbst-Ständigkeit.

Vor meiner entscheidenden Veränderung habe ich mich stark an Autoritäten angelehnt und meine Verantwortung eher in der gekonnten Erfüllung von gegebenen (Rollen-)Erwartungen gesehen.

Humanistisches Denken und Handeln legt für mich nahe, zu eigenen Erkenntnisse zu gelangen, auch wenn sie im Widerspruch zum Mainstream, Autoritäten oder - besonders schmerzhaft - zur Auffassung mir lieber Menschen stehen. Sich der eigene Erkenntnis gegenüber konsequent zu verhalten, liegt in meiner persönlichen Verantwortung. Damit habe ich nicht die Verantwortung für die Welt, sondern für meinen Blick auf die, meine Emotionen zur und meine Handlungen in der Welt.

Praktischer Humanismus

Ich halte es eher für unmöglich das nicht zu tun. Ich diskutiere gerne und mache aus meinen Sichtweisen und Interessen kein Geheimnis. Das nimmt mein Umfeld deutlich wahr, ich muss nur aufpassen niemanden damit zu nerven.
Noch dazu bin ich als Systemischer Therapeut beruflich ständig mit Lebensfragen konfrontiert, lehre und lerne ständig in diesem Feld.
 
Was mich sehr interessiert, ist die Vermittlung von Wissen über Evolution bei Kindern und Jugendlichen. Das Evo-Kids-Projekt verfolge ich mit großer Neugier und lasse die Ideen in meine Bezüge (Bund Naturschutz Kindergruppen, Erlebnispädagogik in der Kinder- und Jugendhilfe, usw.) einfließen.
 
Da ich den christlichen Missionsbefehl, damit den Anspruch die Welt zu deuten und fest zu legen was gutes Leben ist, zu Genüge kenne, gehe ich auch bei humanistischen Überzeugungsversuchen auf Abstand. Mir ist klar, dass durch Missionsabstinenz keine machtvolle Bewegung entstehen kann – aber wozu auch. Eine klare „Komm-Struktur“ und Akzeptanz, wenn jemand ohne meine Weisheit glücklich werden will, halte ich für grundlegend.
Einmischen, laut werden, Freiheits- und Menschenrechte verteidigen gehört auch zum Humanismus. Aber nur bei Übergriffen, Diskrimierung und Unrecht. Sehr überzeugt hat mich der Ansatz von Strenger: Zivilisierte Verachtung für inhumane Ideen, bei Toleranz vor Menschen.
 
Ach ja: Hedonismus als Modell vorleben, fröhlich, optimistisch und klug Probleme bewältigen – das ist sehr attraktiv und es kann Neugier erzeugen.
 

Selbstbestimmtes Leben und selbstbestimmtes Sterben

Diese Frage greift meine Gedanken zu Punkt 8 auf. Auch wenn es um das Sterben geht, sehe ich keine andere Möglichkeit, als mich an meiner Erkenntnis zu orientieren. Ich habe zu einem streng naturalistischem Weltbild gefunden und erwarte deshalb keine Überraschungen nach dem Tod. Im ersten Beruf bin ich Krankenpflegehelfer und kenne aus dieser Perspektive, der Arbeit in Krankenhäusern und Altenheimen und aus der Begleitung meiner sterbenden Eltern die praktischen Probleme am Lebensende und die daraus Not-wendig (hier stimmt es im Wortsinn) werdenden Entscheidungen. Ich habe mir darüber intensiv Gedanken gemacht und Vorkehrungen getroffen um die Selbstbestimmung möglichst hoch zu halten.

Was schadet der Gesellschaft aktuell am meisten

Ich schade der Gesellschaft am meisten durch nette Unklarheit – darum arbeite ich an Präsenz und Prägnanz im politischen Diskurs. Engagiert bin ich in der Initiative „Die offene Gesellschaft“, dem bfg Fürth und bei der GWUP Mittelfranken.

Ansonsten? Defizitorientierung, Fatalismus, Angst. Wenn zu viel auf Defizite und Fehler von Andere/n fokussiert wird, anstatt die eigenen Möglichkeiten zu nutzen und Beziehungen und Umstände konstruktiv zu gestalten.

Stille bzw. unbekannte Humanisten

Ich kenne viele Christen, die überwiegend humanistische Ideen vertreten, sich an kirchlichen Strukturen abarbeiten und sich in Glaubensfragen winden. Und auch stille Humanisten die das bleiben wollen, also niemanden den/die es an die Öffentlichkeit drängt.

Humanismus und Spiritualität

Eher nein, nicht „benötigt“. Ich setze auf individuelle Lösungen und binde meine Gefühle nicht gerne an feste Orte, Gegenstände oder Rituale. Meine Besinnung (Spiritualität verwende ich als Begriff schon ungern, weil es mir zu viel Geist enthält) zeigt sich am ehesten beim Bergsteigen. Meditatives gehen, steigen, klettern, schauen, hören, riechen, fühlen … in Verbindung mit dem Fluss der Gedanke und Gefühle. Ich kann mir dennoch vorstellen, dass für andere HumanistInnen Kristallisationspunkte, in Form gestalteter Räume und Rituale sehr hilfreich sind. Würde ich selbst zwar kaum nutzen, aber: feel free.

Wichtig finde ich Rituale für die (familiäre, berufliche, ...) Gemeinschaft. Partnerschaftsfeste, Geburt eines Kindes, Geburtstage, Todesfall, … in Arbeitsteams auch so etwas wie Beginn-, Meilenstein- und Abschlussfeiern, Begrüßungen, Abschiede … . Das ist meiner Meinung aber nicht an die Weltanschauung gebunden (und sollte so gestaltet sein, dass alle Mitglieder der jeweiligen Gruppe sich wohl fühlen).

Zukunft und Wünsche

Ich erhoffe mir, dass sich der verbandlich organisierte Humanismus nicht neben den etablierten Kirchen als säkulare Alternative im gleichen Denkmuster präsentiert (bspw. um in den Genuss ähnlicher Privilegien zu gelangen), sondern vielmehr die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche, Abbau von Sonderrechten und Subventionierungen, Schutz der Privatsphäre, Wahrung der Menschenrechte und aufklärerische, wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung vertritt.
In der Wirkung nach innen hoffe ich auf Pluralismus, Toleranz, Bereitschaft zur Koexistenz von Meinungen, gekonnte Konfliktlösungen und friedlich orientierte, offene Diskussionskulturen. Damit es nicht zu humanistischen Konfessionen kommt … .

Antworten © Hansjörg Albrecht
„Epikurs Garten” - „Who is Hu” - Gesichter gegenwärtiger Humanisten © Evelin Frerk (1086)

Epikurs Garten - Hansjörg Albrecht

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