Imogen Schäfer

Imogen Schäfer            Fotografie ©evelinFrerk.

A) zur Person: 

Imogen Schäfer. Die Psychologische Psychotherapeutin lebt und arbeitet in Berlin. 

Abitur  1979
-       Praktikum in der Bundesgeschäftsstelle des Internationalen
        Christlichen Jugendaustausches, Wuppertal 1979-1980
-       Studium der Theaterwissenschaft/Germanistik/Politologie 1980-81
-       Studium der Psychologie an der FU Berlin, 1981-86 Abschluss: Diplom
-       Zulassung Heilpraktiker/Psychotherapie 1989
-       Fortbildung und Supervision im Fachteam des BdP 1991-95
-       Anerkennung als Klinische Psychologin BdP 1993
-       Anerkennung als Supervisorin BdP 1995

-       Ausbildung in Psychoanalyse am Institut für Psychotherapie e.V.
        ( Berlin Dahlem) 1992-97   Kassenärztliche Zulassung
-         Approbation als Psychologische Psychotherapeutin 1999
-       Zusatzausbildung in analytischer Paar- und Familientherapie 2007-2010
-       regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen und Supervision fortwährend.

/www.imogen-schaefer.de/index.html

"Das bewusste sozial-emotionale Selbst ist zur Einsicht bereit, aber das unbewusste Selbst verweigert sich, weil es gekränkt ist, Angst hat usw. Man muss kein gläubiger Anhänger aller Bestandteile der Lehre Sigmund Freuds sein, um zu verstehen, dass diese unbewussten Antriebe und Motive dasjenige verkörpern, was letzlich den Ausschlag gibt."

(Gerhard Roth in Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, S.274)

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B) Epikurs Garten

Imogen Schäfer "Nichts möchte ich als gegeben hinnehmen"

1. Selbstdefinition:

Ich bin ein sehr kritischer Mensch und liebe das Hinterfragen. Nichts möchte ich als gegeben hinnehmen. Daher haben mich kritische Wissenschaften immer sehr interessiert. Ich brauche keinen Gott, aber auch keine anderen spirituellen Wegweiser. Das Diesseitige ist reich genug an Quellen für Lebensfreude. Ich bin ein Fan der Wissenschaften und besonders geprägt haben mich Marx und Freud und alle die Wissenschaftler, die Theorien auf diesem Erkenntnishintergrund entwickelt haben.
Ich stehe ganz hinter der Theorie und Praxis des evolutionären Humanismus, wie es im "Manifest des evolutionären Humanismus" von Michael Schmidt-Salomon dargestellt ist.


2. Entscheidende Erfahrungen:

In jungen Jahren habe ich mich viel mit Religionen und Sekten beschäftigt und gelernt deren Allmachtsanspruch kritisch zu hinterfragen.  Als Psychoanalytikern erlebe ich in meiner Praxis, was die Menschen krank macht und was Ihnen weiterhilft, bzw. nicht weiterhilft. Die Religionen und deren strenge Regeln haben leider einen großen Anteil an psychischen Erkrankungen! Als junge Therapeutin in einer psychiatrischen Gemeinschaftspraxis in Kreuzberg hatte ich viele Türkinnen mit schweren psychischen Erkrankungen in Behandlung, die in ihren Ehen mit muslimischen Ehemännern eingesperrt und misshandelt wurden. Leider musste ich die Erfahrung machen, daß psychische Heilung nicht möglich ist, wenn die Frauen in diesen aus der Religion hergeleiteten Unterdrückungsstrukturen weiterleben müssen.


3. Elitär:  

Glaubensfreiheit, wertphilosophisch begründete  Ethik sind notwendig und nicht elitär. Breite Schichten der Bevölkerung können erreicht werden, heutzutage vor allem durch das Internet, Aufklärung im Netz, Soziale Netzwerke, die die Aufklärer und Humanisten verbinden, Nutzung der Medien, Kunst, Filme, Theaterstücke- kurzum eine Förderung der Kultur der Aufklärung und Unterstützung solcher Theater wie das Maxim Gorki Theater in Berlin, die zeitgenössische Stücke zu den sozial-politischen Problemen unserer Zeit auf der Agenda haben.


4. Religiöse Zwänge – waren Sie je religiösen Zwängen unterworfen?

Nein, außer den üblichen Zwängen wie im Sonntagsgottesdienst einer trockenen Predigt zuhören müssen. Da hat geholfen über andere Dinge nachzudenken, abschweifen, träumen, abwarten, bis es vorbei ist.
Ich bin in der evangelischen Kirche sozialisiert worden und Mitte der 70iger Jahre habe ich nur positive Erfahrungen damit gemacht. Es gab keine Zwänge, sondern viele fortschrittliche Ansätze. Vor allem in der Jugendarbeit gab es viel Raum für emanzipatorische, antikapitalistische und humanistische Gedanken und Diskussionen. Als Teilnehmerin im Internationen Christlichen Jugendaustausch, in dessen Geschäftsstelle ich nach dem Abitur ein einjähriges Praktikum absolvierte, bin ich politisiert worden.

 

5. Konkrete Eigenerfahrungen mit Religiosität, dem Wunsch nach Gauben und/oder Esoterik?

Ja, ich verfüge über diese Erfahrungen. Aufgewachsen bin ich in einem protestantischen Elternhaus, wurde getauft und konfirmiert. Mein Vater jedoch war ganz Naturwissenschaftler und hatte bei Theodor W.Adorno Seminare besucht. Er war Atheist und das hat mich auch beeinflusst.
Als Jugendliche habe ich religiöse Erfahrungen gesucht, aber kam aufgrund eingehender Reflektion ganz vom Glauben ab.
Als junge Psychologiestudentin habe ich mich engagiert in der "Elterninitiative gegen psychische Abhängigkeit und religiösen Extremismus" und mich  im Psychologiestudium unter anderem mit Sekten und Psychokulten beschäftigt. Meine Diplom-Arbeit habe ich im Fachbereich Kritische Psychologie von Klaus Holzkamp zum Thema: "Ursachen der freiwilligen Unterordnung deutscher Neo-Sannyasins in der Sekte des Rajneesh Chandra Mahan" geschrieben.


6. Leben Sie glaubensfreie Alternativen zu religiösen Ritualen? Wenn ja, welche?

Nein. Ich liebe manche Rituale, weil ich mich darauf freuen kann und sie das Leben bereichern. Ich nehme die christlichen Rituale wie Weihnachten zum Anlass, mit Angehörigen eine schöne gemeinsame Zeit zu verbringen.
Ansonsten bin ich überzeugt, daß es viele Möglichkeiten gibt, sich positiv anregen zu lassen und psychische Kraft aus etwas zu ziehen. Z.B. die intensive Beschäftigung mit Dingen, die einen faszinieren. Bei mir ist das vor allem die Musik. Was ist ergreifender als  eine phänomenale Oper zu hören?
Praktizierte Mitmenschlichkeit und Liebe kann glücklich machen. Wenn man seine Beziehungen pflegt und sich für seine Mitmenschen einsetzt, gewinnt man viel mehr als durch manches Glaubensritual.

Es liegt im Trend, zu meditieren, um zur Ruhe zu kommen. Ich bevorzuge Methoden wie Autogenes Training oder Selbsthypnose, die ich  lieber alleine als in einer Gruppe anwende, um abzuschalten oder zu entspannen.


7. Freiheit, eigene Wünsche und Gedanken zu leben:

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es eigentlich keine wirkliche Freiheit für den Einzelnen. Wir sind innerhalb unserer gesellschaftlichen/ ökonomischen Bedingungen immer auch ein Stück weit fremd bestimmt und können nur im Rahmen unserer beschränkten Möglichkeiten Wünsche entwickeln und verwirklichen. Auch aus neurowissenschaftlicher und psychoanalytischer Sicht sind wir von unseren unbewussten Anteilen mit bestimmt und daher ist das Wünschen nicht ganz frei. Allerdings kann das aufdeckende Arbeiten in der Psychoanalyse dabei helfen, blockierte und gehemmte Tendenzen freizusetzen und dadurch etwas freier zu werden.
Insofern denke ich, daß ich relativ frei bin, meine Wünsche anzunehmen und gegebenenfalls zu erfüllen, als auch meine Gedanken auszudrücken und Ihren Impulsen nachzugehen.

Am besten ist es natürlich, wenn man beruflich das macht, was man am besten kann und was einen begeistert. Dann hat man eine gute Verbindung zwischen Lust und Pflicht erreicht. Alle Tätigkeiten, die getragen sind von einer intrinsischen Motivation,  können sowohl Pflichterfüllung sein als auch einer gewissen Lustbefriedigung  dienen. Dennoch denke ich, daß Sigmund Freud Recht damit hatte, daß die Realität hart ist und mit Triebverzicht einhergeht. Damit müssen wir zurechtkommen. Je eher wir das akzeptieren und nicht nach ständigem idealisiertem Glück und Selbstverwirklichung streben, um so besser können wir das aushalten.


8. Zusammenhang zwischen Humanismus und Aufklärung:

Meines Erachtens ist Aufklärung die Voraussetzung für Humanismus. Das bedeutet für mich vor allem die Beachtung und Wertschätzung der Wissenschaften und die Suche nach wahrer wissenschaftlicher Erkenntnis, die  wunderbar die Suche nach Sinn und Glauben ersetzen kann. Denn was ist befriedigender als Antworten auf wichtige Fragen zu erhalten, die wissenschaftlich begründet sind? Oder zumindest die richtigen Fragen zu stellen, auf die es vielleicht noch keine Antworten gibt?

Humanismus heißt zunächst den Menschen zu erforschen und zu erkennen, was ihn ausmacht und was Voraussetzung für seine Existenz ist. Wenn man erkannt hat, daß der Mensch ein soziales Wesen ist, das die anderen Menschen braucht, ist es wichtig zu verstehen, weshalb er soviele destruktive Kräfte entwickelt, die seine Lebensbedingungen zerstören. Darin besteht für mich z.B. eine persönliche Verantwortung: Verstehen zu wollen und nicht zu urteilen, zu kategorisieren, zu behaupten, zu wissen, während man in Vorurteilen denkt. Wenn das persönliche Ziel im eigenen Leben darin besteht, anderen Menschen und sich selbst dabei behilflich zu sein, ein lebenswertes Leben für alle zu erreichen, ist das schon viel persönliche Verantwortung im Sinne des Humanismus.
Allerdings ist es wichtig, hier keinen zu hohen Ideal-Anspruch an sich zu haben. Ein jeder kann nur am besten in seinem direkten Umfeld daran arbeiten und muss dafür nicht unbedingt  in die Ferne schweifen.

Hans-Magnus Enzensberger: "Es ist an der Zeit, sich von moralischen Allmachtsphantasien zu verabschieden. Auf die Dauer kommt keiner darum herum, kein Gemeinwesen und auch kein Einzelner, die Abstufungen seiner Verantwortung zu prüfen und Prioritäten zu setzen. (…)insgeheim weiß jeder, daß er sich zuallererst um seine Kinder, seine Nachbarn, seine unmittelbare Umgebung kümmern muß." (Versuche über den Unfrieden, S. 120/121

 

9. Praktischer Humanismus - halten Sie es für sinnvoll und möglich, anderen Menschen Ihre Weltanschauung nahe zu bringen? Wenn ja: wie?

Ja, das halte ich für sinnvoll. Durch das Gespräch als auch durch das Praktizieren von Humanität. Das beginnt im Alltag, im Umgang mit anderen, durch Toleranz, Empathie, Hilfsbereitschaft. In meinem Beruf als Psychoanalytikerin bringe ich  immer wieder meine Weltanschauung anderen nahe, die mit ihren Problemen zu mir kommen und z.B. in Religionen keine Lösungen gefunden haben.


10. Selbstbestimmtes Leben und selbstbestimmtes Sterben:

Für mich ist es selbstverständlich, daß Menschen darüber entscheiden sollen dürfen, wie sie leben und wie sie sterben möchten. Ich finde es schlimm, wenn andere Menschen sich zu Autoritäten über Leben und Sterben anderer machen und dabei in Kauf nehmen, daß dadurch großes Leiden geschieht. Hier gibt es noch viel zu wenig Reflektion und Auseinandersetzung mit dem Thema, vermutlich  weil Sterben und Tod immer noch ein Tabu-Thema sind.


11. Was schadet der Gesellschaft aktuell am meisten?

Das Primat der Ökonomie, das alle Lebensbereiche durchdringt und Strukturen schafft, die Menschen zu Dingen zwingen, die gegen die Menschlichkeit sind. Man betrachte den Pflegebereich und den Umgang mit alten Menschen, für die keine Zeit mehr da ist. Seit der Dominanz des Neoliberalismus hat sich Europa verändert und der Ruf nach Autoritäten wird wieder laut. Für gelebte Demokratie  muss es Bereiche geben, in denen wirtschaftliche Profite keine Rolle spielen dürfen sondern die Menschen und ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen.


12. Stille bzw. unbekannte Humanisten:

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13. Humanismus und Spiritualität:

Ich kann mit dem Begriff "Spiritualität" nicht viel anfangen. Mir gefallen mehr Begriffe wie Innehalten, Nachdenklichkeit, Vertiefung, Introspektion, Ruhe. Wenn sich die Humanisten organisieren, was ist dagegen einzuwenden, Zeiten einzurichten, in denen gemeinsam an andere große Humanisten aus der Geschichte gedacht wird und deren Taten und Beiträge zur Wissenschaft gewürdigt werden? Ich finde es gut, sich zu versammeln, Neues auszutauschen, zu diskutieren, aber auch gemeinsam zu feiern.


14. Zukunft und Wünsche:

Viele Menschen, die sich nicht explizit so bezeichnen, sind Humanisten. Realistisch betrachtet denke ich, daß es immer eine mehr oder weniger große Gruppe an Humanisten geben wird, die versuchen, gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen. Aber es gibt starke Gegenkräfte, die antihumanistisch denken und destruktiv handeln und sich aufgrund ihrer Skrupellosigkeit und Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt eher durchsetzen.
Es ist trotzdem wichtig, optimistisch für die eigenen Vorstellungen zu kämpfen.
Meine Wünsche gehen natürlich dahin, daß es eine breite Bewegung an Humanisten geben möge, die die Gesellschaft verändern kann und daß das sehr bald geschieht.


Antworten © Imogen Schäfer
„Epikurs Garten“ – „Who is Hu“ – Gesichter gegenwärtiger Humanisten © Evelin Frerk


Die Reproduktion und das Kopieren sind nicht zulässig. Auch Auszüge bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

Fragen entwickelt und gestellt von Evelin Frerk und Laura Kase.
Mit Dank an Dr. Fiona Lorenz  und Dr. Ursula Menzer.

Berlin, 2016-06-05eF.