Mariana Pinzon Becht
Mariana Pinzon Becht Fotografie © evelinFrerk.
Marina Pinzon Becht,
- M. A.,
- Religionswissenschaftlerin,
- Doktorandin,
- Sprecherin "Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne",
- IBKA-Mitglied
- gottlos glücklich.
Erstmals getroffen auf der Internationel Atheist Convention im Mai 2015 in Köln: "Give Peace A Chance - Säkularisierung und globale Konflikte" und danach immer wieder.
Hier ihre Leitfragen (März 2014):
Mariana Pinzón Becht
LEITFRAGEN
Zur Verständigung auf eine grüne Grundhaltung zur Frage:
Was ist die Rolle von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im säkularen Staat bzw. in der pluralen Gesellschaft?
gilt es, Leitfragen zu klären:
- 1.)Was sollte der programmatische Kompass für grüne Religions- und Weltanschauungspolitik sein?
Mit dem Grundsatzprogramm vom März 2002 (Berliner Programm) positioniert sich BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN klar in Richtung der universellen Menschenrechte und erklärt diese zu einem der beiden Grundprinzipien und somit für grüne Politik von zentraler Bedeutung.
Im Grundsatzprogramm heißt es dazu:
„Unser Grundwert der Selbstbestimmung prägt sich aus in der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte. Die von den Vereinten Nationen verbrieften Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar - weder gegenüber machtpolitischen oder wirtschaftlichen Interessen noch gegenüber einem falschen kulturellen Relativismus. ... Individuelle Freiheitsrechte, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Recht auf Entwicklung und ökologische Rechte gehören für uns zusammen.“ (S. 14)
Grüne Politik macht es sich zur Aufgabe, jedem Mitglied der Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben und damit die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu ermöglichen.
Mit Artikel 4 („Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ inkl. der Garantie von deren Unverletzlichkeit, das Recht auf ungestörte Religionsausübung) und 3 (Verbot der Privilegierung oder Diskriminierung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen) des Grundgesetzes ist der dafür notwendige Rahmen bereits geschaffen. Durch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist zum einen das Recht ausgesprochen, eine Religion oder Weltanschauung zu besitzen und sich zu dieser auch zu bekennen, zum anderen gestattet sie den organisatorischen Zusammenschluss in Vereinigungen und die Durchführung öffentlicher Kulthandlungen sowohl des/der Einzelnen als auch eines Kollektivs. Vergessen werden darf dabei nicht, dass das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch die sog. „negative Religionsfreiheit“ mit einschließt, die dem einzelnen Mitglied der Gesellschaft das Recht zugesteht, keiner religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft anzugehören oder eine Auffassung in diesem Sinne für sich selbst zu beanspruchen.
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat und seine Organe zu religiös-weltanschaulicher Neutralität, was einer „grünen Religions- und Weltanschauungspolitik“ absolut entspricht. Zu Ende gedacht bedeutet dies, dass der Staat an sich keine Religion oder Weltanschauung vertritt oder bewirbt. Durch das bestehende Staats-Kirchen-Verhältnis und die dadurch gegebenen Privilegien - vor allem der christlichen Großkirchen - ist aber die staatliche Neutralität nicht gegeben. Grüne Politik muss sich dafür einsetzen diese herzustellen und für die Trennung von Staat und Kirchen eintreten, wie es im Programm von 1994 bereits
gefordert worden war.
Zitat aus dem Programm von 1994 "Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gehört ebenso zum Kernbestand einer freiheitlichen Ordnung wie das Recht, sich öffentlich zu einer Religion oder Weltanschauung zu bekennen. Die Aufgabe des Staates ist der Schutz dieser Freiheit, nicht aber die Fortsetzung einer aus vordemokratischer Zeit stammenden Verquickung kirchlicher und staatlicher Aufgaben."
Da der Artikel 4 des GG die dort genannten Freiheiten dem einzelnen Menschen zugesteht, kann die individuelle Glaubens- und Religionsfreiheit nicht zu einem Grundrecht von Kollektiven/Korporationen umgedeutet werden, das sich über das Grundrecht des/der Einzelnen hinwegsetzt.
Die Verbreitung menschrechtsfeindlicher Ideen und Praktiken unter dem Deckmäntelchen von Religionen und Weltanschauungen kann eine „Grüne Religions- und Weltanschauungspolitik", die für individuelle Menschenrechte einsteht, nicht zulassen. Privilegien gegenüber anderen Gemeinschaften auf unterschiedlichen Ebenen - gleichviel ob bereits bestehende oder noch einzuführende - sind ebenso nicht mit einer solchen Politik vereinbar.
Gerade auch die grüne Leitlinie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern durch alle Ebenen und Instanzen unserer Gesellschaft verlangt nach einer konsequenten Anwendung desArtikel 4 GG. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit - unabhängig von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung - kann nur möglich sein in einem Staat, der keine Indoktrination oder Bevormundung duldet, die auf anderen Prinzipien fußt als denen der universell gültigen Menschenrechte.
Zu einer modernen Gesellschaft gehört ein hohes Maß an weltanschauliche Neutralität des Staates, insbesondere aber auch eine Beschränkung auf verbindliche Grundsätze für den inneren Bereich des Staates und des Rechtes. Basis der Gesellschaft soll ein Gesellschaftsvertrag sein, der in der Öffentlichkeit permanent debattiert und weiterentwickelt werden kann. Dies heißt aber auch, dass bestehende Institutionen jederzeit in Frage gestellt werden können und dass Macht bzw. Privilegien nicht langfristig an - ggf. nicht legitimierte - Körperschaften und Gremien übertragen werden.
- 2.) Wie wollen wir Grüne, als Religiöse und Nicht-Religiöse, innerhalb der Partei miteinander umgehen?
Innerhalb der Grünen sollten sich alle stets die Höflichkeit erweisen, offen die Argumente des Gegenübers anzuhören und versuchen, diese nachzuvollziehen.
Diese Frage macht unnötige Probleme auf und setzt auf der falschen Ebene an. Uns geht es nicht darum, ob jemand religiös ist oder die Welt anderweitig betrachtet. Schon alleine die Dichtotomie religiös/nicht-religiös ist problematisch und die Zuordnungskriterien unscharf. Eine solche Dichotomisierung von Menschen, welche die eine Gruppe ex-negativo zur anderen abgrenzt, lehnen wir ab. Uns ist auch nicht klar, was mit einer
solchen kategorialen Spaltung bezweckt wird. Wir sind alle Menschen und Bürger*innen und Mitglieder unserer Partei. Uns sollten alle dieselben Rechte zukommen und Niemand aufgrund von seiner Weltanschauung privilegiert oder diskriminiert werden.
Uns geht es v.a. um den Abbau von Privilegien der staatlich anerkannten Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften, deren Neubewertung aus heutiger gesellschaftlicher Perspektive wie der Einwanderung, Demografie, kulturelle Vielfalt, immer stärker werdende Anzahl der konfessionsfreien Menschen, universelle Aufwertung der individuellen Grundrechte und Geschlechtergerechtigkeit.
- 3.) Was verlangen wir Nichtgläubigen im Umgang mit Gläubigen in der Gesellschaft ab und was verlangen wir umgekehrt Gläubigen bzw. Religionsgemeinschaften im Umgang mit Nichtgläubigen ab?
Wenn wir davon ausgehen, dass das, was wir "Religion" oder "Weltanschauung" nennen eine individuelle Privatangelegenheit bzw. das Recht jeder/s Einzelnen ist, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Zahl der Überzeugungen in der Welt mit der Zahl der darin lebenden Menschen nahezu übereinstimmt. Dies schließt nicht aus, dass sich Menschen in Gemeinschaften zusammenfinden, sofern sie ähnliche oder sich überschneidende Vorstellungen haben. Wir müssen dennoch immer von einzelnen Individuen ausgehen, die laut "Grüner Politik" die Möglichkeit der freien Persönlichkeitsentfaltung haben sollen. Es steht uns daher auch nicht zu, Wertungen hinsichtlich der unterschiedlichen Überzeugungen vorzunehmen.
In unserer freiheitlichen Gesellschaft muss allen Akzeptanz der Vielfalt der Lebensentwürfe und Respekt gegenüber dem/r Einzelnen abverlangt werden.
- 4.) Wie sehen wir die gesellschaftliche Funktion von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften?
Eine Reduzierung von dieser Frage auf die funktionale Ebene von Religionsgemeinschaften ist eine Verkürzung. Religiöse Ideen und Praktiken wirken auf unterschiedliche Weise auf Gesellschaft und Individuen, manchmal in positiver und integrativer Form, oft aber auch trennend, segregierend und diskriminierend.
Als Akteure in einer pluralen Zivilgesellschaft sind Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland primär Anbieter von Ideen. Sie nehmen in verschiedenen Bereichen am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess teil und werben für ihre Ideen und Vorstellungen. Sie tun das neben vielen anderen Vereinigungen und Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten dazugekommen sind und in der Gesellschaft unter anderem für Bürger*innenrechte, Tierschutz oder Ökologie werben. Eine besondere Rolle bei demokratischen Meinungsbildungsprozessen kommt ihnen nicht zu. Sie sollten gleichberechtig mit allen anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren sein.
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind "Sinnanbieter" und machen Angebote an die Mitglieder der Gesellschaft zur Strukturierung des eigenen und des
gemeinschaftlichen Lebens. Sehr lange hatten hier die christlichen Kirchen ein Monopol. Neben sie sind inzwischen aber zahlreiche weitere „Sinnanbieter“ getreten. Diverse Studien beweisen zudem einen Rückgang der institutionellen Bindung von Religiösität hin zu einer individuelleren Gestaltung von Glauben und Weltanschauung. Dies gilt auch für einen großen Anteil der Mitglieder in den Amtskirchen. Auch die Anzahl der Menschen, die sich nicht mehr zu einer konfessionellen Gemeinschaft bekennen, wächst ständig. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass der Staat bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften eine besondere Rolle vermittelt und privilegierten Zugang zum gesellschaftlichen Meinungsprozess und sogar die Erhaltung des Status Quo garantiert. Unter dem Aspekt der Selbstbestimmung ist es jedem/r Einzelnem überlassen seine Zustimmung zu erteilen.
Religiöse Vorstellungen und davon abgeleitete Argumentationen können im säkularen Staat keine Legitimationsgrundlage für die staatlichen Institutionen und Gesetze sein. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können im öffentlichen Raum tätig sein und ihre Angebote für die private Lebensführung machen, sie können aber nicht über den öffentlichen Raum in ihrem Sinne bestimmen. Religionsgemeinschaften müssen auf ihren Anspruch die Gesellschaft als Ganzes im Sinne ihrer theologischen Vorstellungen zu strukturieren verzichten. Die Grundlagen für ein friedliches und freiheitliches Zusammenleben aller Menschen, unabhängig ob und welcher Weltanschauung sie sich zugehörig fühlen, kann nur auf der Grundlage einer Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften erfolgen. Eine weltanschaulich gebundene Ordnung führt dazu, dass Religionen und Weltanschauungen Gesellschaften nicht zusammenführen, sondern das Trennende verstärken. Wir wollen dem gegenüber eine inklusive Gesellschaft, an deren Gestaltung alle gleichermaßen teilhaben können und nicht eine Gemeinschaft der Gemeinschaften entsteht.
- 5.) Wozu brauchen wir eine grüne Position – und wozu nicht? Wo schaffen wir eine Beschlusslage und wo überlassen wir Haltungen und Entscheidungen dem Ermessen und dem Gewissen der und des Einzelnen?
Wenn wir es ernst meinen mit unserem Anspruch auf Menschenrechte, Inklusion, Selbstbestimmung und Freiheit und eine zukunftsweisende Neugestaltung des Religionsverfassungsrechts, kann kein Bereich dieses Themenkomplexes ausgespart werden. BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN haben sich eine ehrgeizige Aufgabe gestellt. Eine umfassende Positionierung, die für die nächsten Jahrzehnte richtungsweisend wird, benötigt umfassende Diskussionen und klare Positionen.
Mariana Pinzón, Heidelberg 12.03.14 Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne
LEITFRAGEN
Zur Verständigung auf eine grüne Grundhaltung zur Frage:
Was ist die Rolle von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im säkularen Staat bzw. in der pluralen Gesellschaft?
gilt es, Leitfragen zu klären:
- 1.)Was sollte der programmatische Kompass für grüne Religions- und Weltanschauungspolitik sein?
Mit dem Grundsatzprogramm vom März 2002 (Berliner Programm) positioniert sich BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN klar in Richtung der universellen Menschenrechte und erklärt diese zu einem der beiden Grundprinzipien und somit für grüne Politik von zentraler Bedeutung.
Im Grundsatzprogramm heißt es dazu:
„Unser Grundwert der Selbstbestimmung prägt sich aus in der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte. Die von den Vereinten Nationen verbrieften Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar - weder gegenüber machtpolitischen oder wirtschaftlichen Interessen noch gegenüber einem falschen kulturellen Relativismus. ... Individuelle Freiheitsrechte, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Recht auf Entwicklung und ökologische Rechte gehören für uns zusammen.“ (S. 14)
Grüne Politik macht es sich zur Aufgabe, jedem Mitglied der Gesellschaft ein selbstbestimmtes Leben und damit die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu ermöglichen.
Mit Artikel 4 („Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ inkl. der Garantie von deren Unverletzlichkeit, das Recht auf ungestörte Religionsausübung) und 3 (Verbot der Privilegierung oder Diskriminierung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen) des Grundgesetzes ist der dafür notwendige Rahmen bereits geschaffen. Durch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist zum einen das Recht ausgesprochen, eine Religion oder Weltanschauung zu besitzen und sich zu dieser auch zu bekennen, zum anderen gestattet sie den organisatorischen Zusammenschluss in Vereinigungen und die Durchführung öffentlicher Kulthandlungen sowohl des/der Einzelnen als auch eines Kollektivs. Vergessen werden darf dabei nicht, dass das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch die sog. „negative Religionsfreiheit“ mit einschließt, die dem einzelnen Mitglied der Gesellschaft das Recht zugesteht, keiner religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft anzugehören oder eine Auffassung in diesem Sinne für sich selbst zu beanspruchen.
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat und seine Organe zu religiös-weltanschaulicher Neutralität, was einer „grünen Religions- und Weltanschauungspolitik“ absolut entspricht. Zu Ende gedacht bedeutet dies, dass der Staat an sich keine Religion oder Weltanschauung vertritt oder bewirbt. Durch das bestehende Staats-Kirchen-Verhältnis und die dadurch gegebenen Privilegien - vor allem der christlichen Großkirchen - ist aber die staatliche Neutralität nicht gegeben. Grüne Politik muss sich dafür einsetzen diese herzustellen und für die Trennung von Staat und Kirchen eintreten, wie es im Programm von 1994 bereits
gefordert worden war.
Zitat aus dem Programm von 1994 "Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gehört ebenso zum Kernbestand einer freiheitlichen Ordnung wie das Recht, sich öffentlich zu einer Religion oder Weltanschauung zu bekennen. Die Aufgabe des Staates ist der Schutz dieser Freiheit, nicht aber die Fortsetzung einer aus vordemokratischer Zeit stammenden Verquickung kirchlicher und staatlicher Aufgaben."
Da der Artikel 4 des GG die dort genannten Freiheiten dem einzelnen Menschen zugesteht, kann die individuelle Glaubens- und Religionsfreiheit nicht zu einem Grundrecht von Kollektiven/Korporationen umgedeutet werden, das sich über das Grundrecht des/der Einzelnen hinwegsetzt.
Die Verbreitung menschrechtsfeindlicher Ideen und Praktiken unter dem Deckmäntelchen von Religionen und Weltanschauungen kann eine „Grüne Religions- und Weltanschauungspolitik", die für individuelle Menschenrechte einsteht, nicht zulassen. Privilegien gegenüber anderen Gemeinschaften auf unterschiedlichen Ebenen - gleichviel ob bereits bestehende oder noch einzuführende - sind ebenso nicht mit einer solchen Politik vereinbar.
Gerade auch die grüne Leitlinie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern durch alle Ebenen und Instanzen unserer Gesellschaft verlangt nach einer konsequenten Anwendung desArtikel 4 GG. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit - unabhängig von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung - kann nur möglich sein in einem Staat, der keine Indoktrination oder Bevormundung duldet, die auf anderen Prinzipien fußt als denen der universell gültigen Menschenrechte.
Zu einer modernen Gesellschaft gehört ein hohes Maß an weltanschauliche Neutralität des Staates, insbesondere aber auch eine Beschränkung auf verbindliche Grundsätze für den inneren Bereich des Staates und des Rechtes. Basis der Gesellschaft soll ein Gesellschaftsvertrag sein, der in der Öffentlichkeit permanent debattiert und weiterentwickelt werden kann. Dies heißt aber auch, dass bestehende Institutionen jederzeit in Frage gestellt werden können und dass Macht bzw. Privilegien nicht langfristig an - ggf. nicht legitimierte - Körperschaften und Gremien übertragen werden.
- 2.) Wie wollen wir Grüne, als Religiöse und Nicht-Religiöse, innerhalb der Partei miteinander umgehen?
Innerhalb der Grünen sollten sich alle stets die Höflichkeit erweisen, offen die Argumente des Gegenübers anzuhören und versuchen, diese nachzuvollziehen.
Diese Frage macht unnötige Probleme auf und setzt auf der falschen Ebene an. Uns geht es nicht darum, ob jemand religiös ist oder die Welt anderweitig betrachtet. Schon alleine die Dichtotomie religiös/nicht-religiös ist problematisch und die Zuordnungskriterien unscharf. Eine solche Dichotomisierung von Menschen, welche die eine Gruppe ex-negativo zur anderen abgrenzt, lehnen wir ab. Uns ist auch nicht klar, was mit einer
solchen kategorialen Spaltung bezweckt wird. Wir sind alle Menschen und Bürger*innen und Mitglieder unserer Partei. Uns sollten alle dieselben Rechte zukommen und Niemand aufgrund von seiner Weltanschauung privilegiert oder diskriminiert werden.
Uns geht es v.a. um den Abbau von Privilegien der staatlich anerkannten Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften, deren Neubewertung aus heutiger gesellschaftlicher Perspektive wie der Einwanderung, Demografie, kulturelle Vielfalt, immer stärker werdende Anzahl der konfessionsfreien Menschen, universelle Aufwertung der individuellen Grundrechte und Geschlechtergerechtigkeit.
- 3.) Was verlangen wir Nichtgläubigen im Umgang mit Gläubigen in der Gesellschaft ab und was verlangen wir umgekehrt Gläubigen bzw. Religionsgemeinschaften im Umgang mit Nichtgläubigen ab?
Wenn wir davon ausgehen, dass das, was wir "Religion" oder "Weltanschauung" nennen eine individuelle Privatangelegenheit bzw. das Recht jeder/s Einzelnen ist, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Zahl der Überzeugungen in der Welt mit der Zahl der darin lebenden Menschen nahezu übereinstimmt. Dies schließt nicht aus, dass sich Menschen in Gemeinschaften zusammenfinden, sofern sie ähnliche oder sich überschneidende Vorstellungen haben. Wir müssen dennoch immer von einzelnen Individuen ausgehen, die laut "Grüner Politik" die Möglichkeit der freien Persönlichkeitsentfaltung haben sollen. Es steht uns daher auch nicht zu, Wertungen hinsichtlich der unterschiedlichen Überzeugungen vorzunehmen.
In unserer freiheitlichen Gesellschaft muss allen Akzeptanz der Vielfalt der Lebensentwürfe und Respekt gegenüber dem/r Einzelnen abverlangt werden.
- 4.) Wie sehen wir die gesellschaftliche Funktion von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften?
Eine Reduzierung von dieser Frage auf die funktionale Ebene von Religionsgemeinschaften ist eine Verkürzung. Religiöse Ideen und Praktiken wirken auf unterschiedliche Weise auf Gesellschaft und Individuen, manchmal in positiver und integrativer Form, oft aber auch trennend, segregierend und diskriminierend.
Als Akteure in einer pluralen Zivilgesellschaft sind Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland primär Anbieter von Ideen. Sie nehmen in verschiedenen Bereichen am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess teil und werben für ihre Ideen und Vorstellungen. Sie tun das neben vielen anderen Vereinigungen und Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten dazugekommen sind und in der Gesellschaft unter anderem für Bürger*innenrechte, Tierschutz oder Ökologie werben. Eine besondere Rolle bei demokratischen Meinungsbildungsprozessen kommt ihnen nicht zu. Sie sollten gleichberechtig mit allen anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren sein.
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind "Sinnanbieter" und machen Angebote an die Mitglieder der Gesellschaft zur Strukturierung des eigenen und des
gemeinschaftlichen Lebens. Sehr lange hatten hier die christlichen Kirchen ein Monopol. Neben sie sind inzwischen aber zahlreiche weitere „Sinnanbieter“ getreten. Diverse Studien beweisen zudem einen Rückgang der institutionellen Bindung von Religiösität hin zu einer individuelleren Gestaltung von Glauben und Weltanschauung. Dies gilt auch für einen großen Anteil der Mitglieder in den Amtskirchen. Auch die Anzahl der Menschen, die sich nicht mehr zu einer konfessionellen Gemeinschaft bekennen, wächst ständig. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass der Staat bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften eine besondere Rolle vermittelt und privilegierten Zugang zum gesellschaftlichen Meinungsprozess und sogar die Erhaltung des Status Quo garantiert. Unter dem Aspekt der Selbstbestimmung ist es jedem/r Einzelnem überlassen seine Zustimmung zu erteilen.
Religiöse Vorstellungen und davon abgeleitete Argumentationen können im säkularen Staat keine Legitimationsgrundlage für die staatlichen Institutionen und Gesetze sein. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können im öffentlichen Raum tätig sein und ihre Angebote für die private Lebensführung machen, sie können aber nicht über den öffentlichen Raum in ihrem Sinne bestimmen. Religionsgemeinschaften müssen auf ihren Anspruch die Gesellschaft als Ganzes im Sinne ihrer theologischen Vorstellungen zu strukturieren verzichten. Die Grundlagen für ein friedliches und freiheitliches Zusammenleben aller Menschen, unabhängig ob und welcher Weltanschauung sie sich zugehörig fühlen, kann nur auf der Grundlage einer Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften erfolgen. Eine weltanschaulich gebundene Ordnung führt dazu, dass Religionen und Weltanschauungen Gesellschaften nicht zusammenführen, sondern das Trennende verstärken. Wir wollen dem gegenüber eine inklusive Gesellschaft, an deren Gestaltung alle gleichermaßen teilhaben können und nicht eine Gemeinschaft der Gemeinschaften entsteht.
- 5.) Wozu brauchen wir eine grüne Position – und wozu nicht? Wo schaffen wir eine Beschlusslage und wo überlassen wir Haltungen und Entscheidungen dem Ermessen und dem Gewissen der und des Einzelnen?
Wenn wir es ernst meinen mit unserem Anspruch auf Menschenrechte, Inklusion, Selbstbestimmung und Freiheit und eine zukunftsweisende Neugestaltung des Religionsverfassungsrechts, kann kein Bereich dieses Themenkomplexes ausgespart werden. BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN haben sich eine ehrgeizige Aufgabe gestellt. Eine umfassende Positionierung, die für die nächsten Jahrzehnte richtungsweisend wird, benötigt umfassende Diskussionen und klare Positionen.
Mariana Pinzón, Heidelberg 12.03.14 Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne
Berlin, 2015-05-30eF.