Rudolf Kuhr

Rudolf Kuhr

... Mensch werden, Mensch sein und bleiben

Selbstdefinition

Meine Weltanschauung, mein Weltverständnis bzw. die sich daraus ergebende ethische Orientierung ist der Humanismus, als Denken, Fühlen und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und die Bildung verantwortlicher Menschlichkeit ermöglicht. Dies ist mein Bekenntnis oder meine Konfession, mein Glaube oder auch meine Religion (Rückbindung = Rückbesinnung, -kopplung, -versicherung usw.) für eine sinnerfüllende Lebensgestaltung.

Die Begründung:
Humanismus ist unter den Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen und sonstigen geistigen Rückbindungen diejenige ethische Orientierung, deren Name bereits den direkten Weg und das eigentliche Ziel sinnvollen Handelns enthält und deren Maßstäbe real, plausibel und wissenschaftlich haltbar zu begründen sind.

Der Gefahr einer zu anthropozentrischen Sichtweise, wie sie manche in der Bezeichnung Humanismus befürchten, begegnet die verinnerlichte Rückbindung an humanistische Grundsätze von selbst. Schließlich lautet ein wichtiger Grundsatz: Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern vor allem auch zu sich selbst zu haben.

Das Bekenntnis zum Humanismus ist ein Bekenntnis zum Menschsein mit allen seinen Gegebenheiten und unendlichen Möglichkeiten, wie sie der Begriff Humanismus in idealer Weise in sich vereint.

Wenn ich auf die Frage nach meiner ethischen Orientierung antworte, ich bin Humanist, dann bedeutet das nicht, dass ich mich als besseren Menschen sehe, sondern lediglich, dass ich lern- und veränderungsbereit bin und mich uneingeschränkt dem Anspruch des Menschseins stelle nach dem Leitgedanken "Verbessere ein Stück Welt - dich selbst".

Auf die Frage nach meinem Beruf antworte ich mitunter zunächst scherzhaft, daß ich von Beruf Mensch bin und mich noch in der Ausbildung befinde.

Humanismus als ethische Orientierung ist bei konsequenter Anwendung ein ganzheitliches, sich selbst regelndes Rückbindungs-System, es ermöglicht ein ausgewogenes und menschenfreundliches Verhalten als Grundlage nachhaltigen Wohlstandes.

Entscheidende Erfahrungen

Durch Nachdenken z.B. über den Sinn des Lebens, durch Gespräche, Lesen, Beobachten, Hinterfragen, durch bewusstes Leben und Auseinandersetzen mit anderen Menschen, mit der Natur und mit mir selbst.

Sehr hilfreich waren unermüdliche Denkanstöße von Seiten meines zwei Jahre älteren Bruders mit religionskritischen Zitaten von freigeistigen Denkern aus mehreren Jahrhunderten, die er sammelte unter dem Titel "Was nicht zur Allgemeinbildung gehört" sowie mit aktuellen Zeitungsausschnitten zu politischen Themen. So gelang es ihm schließlich, mich mit 18 zum Austritt aus der Kirche zu bewegen, die mir bis dahin ziemlich gleichgültig war. Trotzdem hatte dieser endgültige Schritt mich zunächst etwas Überwindung gekostet, kurz darauf jedoch ein Gefühl der Befreiung ausgelöst.

Elitär

Ja, in der Realität leider schon, es ist eine kulturelle Auslese: Denken ist zwar allen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.

... oder auch breite Bevölkerungsschichten erreichen kann?
Selbstverständlich! Die Idee des Humanismus grenzt niemanden aus. Jeder Mensch hat grundsätzlich von der Natur die Anlage, einen hohen Grad an Weisheit zu erlangen. Die bisher maßgeblichen Kulturen lassen jedoch eine solche Entwicklung nur in Ausnahmefällen zu. Die Menschheit insgesamt zeigt keine Weisheit, sie gleicht einem Bakterienstamm, der sich ungehemmt solange vermehrt, bis seine Lebensgrundlagen verbraucht sind. - Kultur und Religion brauchen deshalb Erneuerung: eine humanistische Orientierung zu verantwortlicher Menschlichkeit.

Welche kooperativen Strukturen wären nützlich, um mehr Menschen mit dem humanistischen Gedankengut zu erreichen? Was kann der einzelne tun oder ist das eventuell nicht notwendig bzw. sinnvoll?
Es ist sowohl sehr sinnvoll, als auch ganz besonders notwendig, mehr Menschen mit dem humanistischen Gedankengut zu erreichen, weil dieses noch immer viel zu wenig als ethische Rückbindung verbreitet ist. Dies kann je nach passender Gelegenheit sowie auf verschiedenste Art und Weise geschehen in Gesprächen, Diskussionen, Seminaren, Selbsthilfegruppen, Veröffentlichungen, im Elternhaus, Kindergarten, Schule, VHS, Internet, Kultur- und Bildungseinrichtungen, Informations-Veranstaltungen und -medien.

Der Mensch ist das Problem des Menschen in dieser Welt und mit dem Humanismus als ethische Orientierung auch die Lösung.

Religiöse Zwänge

Ich bin lediglich aus familiärer Tradition getauft und konfirmiert worden, was mich nicht innerlich berührt hat. Erinnern kann ich mich noch, daß ein Großvater bei meiner Konfirmation nicht mit in die Kirche gegangen ist. Seine Kirche sei der Wald, meinte er.

An Gott konnte ich nie glauben, habe mich aber auch nie als Atheist gefühlt und bin erst sehr spät dem Begriff Agnostiker begegnet, den ich für mich zutreffend finde. Gebete gab es zuhause nicht.

Religiösen Zwängen aber waren unsere beiden Kinder in der Grundschule in einem kleinen süddeutschen Ort ausgesetzt, sie kämen in die Hölle, sagten ihnen Mitschüler, weil sie weder katholisch, noch evangelisch waren. Und sie sollten doch besser am Schulgebet teilnehmen, sagte der Lehrer, damit ihnen z.B. auf dem Schulweg nichts passiert.

Wie gehen Sie damit um?
Dieser Mangel an eigenen Erfahrungen mit religiösen Zwängen hat bei mir - außer einer starken Abneigung gegenüber nächtlichem Glockenläuten - keine Allergien entstehen lassen und ermöglicht es mir dadurch, unbefangener, gelassener und konstruktiver Möglichkeiten menschlicher Annäherungen wahrzunehmen nach dem Leitgedanken, aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde werden zu lassen. Das Bekenntnis zum Humanismus als ethische Orientierung ist ein Zeichen der Verbundenheit mit allen Menschen guten Willens.

Konkrete Eigenerfahrungen mit Religiosität

Religiosität ist für mich vom Begriff her zunächst die Fähigkeit, in agnostischer Weise ganzheitliche Verbundenheit mit meiner Mitwelt zu empfinden und zu erkennen, daß ich mit meiner Einmaligkeit ein gleichberechtigter Teil dieser Mitwelt bin. Dies ist für mich die natürliche Grundlage von solidarischem Sozialverhalten und Ökologie.

Esoterik bedeutet inneres, verborgenes Wissen, ist jedoch sehr oft Aberglaube und Geschäft damit. Als bekennender Humanist fühle ich mich allerdings auch nicht als Ungläubiger. Ich unterscheide zwischen vernünftigem und unvernünftigem Glauben. Ein vernünftiger und auch notwendiger Glaube ist der an die Bildungsfähigkeit des Menschen zu einem sozial und ökologisch handelnden, mündigen Gemeinschaftswesen und daran, dass die Natur den Menschen nicht braucht, wohl aber der Mensch die Natur.

Intensive religiöse (rückbindende) Erlebnisse sind für mich z.B. das beschauliche Betrachten schöner Landschaften mit Bäumen, Wasser und Wolken oder das ungestörte Hören harmonischer Musik. Da kann ich loslassen und mich gleichzeitig eingebunden fühlen in eine tief empfundene, reale und heilende Welt der Natur und der Klänge.

Glaubensfreie Alternativen

Ja, es sind z.B. die Feste zum Jahreskreis wie Wintersonnenwende bzw. Weihnachten, Frühling bzw. Ostern, Sommersonnenwende und Erntefest im Herbst. Dazu gehören auch die persönlichen Feste wie Geburt, Namensgebung, Kindergarten-, Schulbeginn, Jugendfeier, Hochzeit und Tod sowie sinnvolle gesellschaftliche Gedenk- und Feiertage. Derartige Rituale sind mir wichtig für die Verbundenheit zur Natur und zu den Mitmenschen in ihren verschiedenen Gemeinschaftsformen.

Als sehr nützlich und wohltuend habe ich jedesmal die "Rituale" erlebt, wie sie bei Gruppensitzungen nach den Regeln der Themenzentrierten Interaktion (Wikipedia: TZI) angewendet werden, um ein Gleichgewicht zwischen Ich, Wir und Es herzustellen und zu halten.

Freiheit, eigene Wünsche und Gedanken zu leben

Ja, die Gedanken und Wünsche sind frei. Ich erlebe, daß ich in unserer Gesellschaft trotz aller Probleme und Einschränkungen so viel an persönlicher Freiheit habe, wie es vergleichsweise meine Eltern noch nicht hatten.

Gibt es eine erstrebenswerte Balance zwischen Lust und Pflicht und wo liegt diese für Sie persönlich?
Die Balance wird durch den verinnerlichten Anspruch auf Menschenwürde gehalten. Spätestens wenn gemeinnütziges Tun zu anhaltendem Stress ausartet, dann ist eine Grenze erreicht, die Veränderung verlangt, denn überforderte Vorgesetzte, Kollegen oder Vorstandsmitglieder sind selten motivierend.

Mit List aus der Last eine Lust machen, ohne zum Märtyrer zu werden, das ist mein Bestreben.

Zusammenhang zwischen Humanismus und Aufklärung

Beide bedingen sich gegenseitig und sind miteinander verbunden. Aufklärung ist wichtig, um Mensch zu werden, Mensch zu sein und zu bleiben sowie die Mitwelt entsprechend zu verstehen und mitzugestalten. Humanismus ist wichtig, um hierfür eine sinngebende ethische Orientierung zu haben.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Humanismus und persönlicher Verantwortung?

Humanismus verlangt nach persönlicher Verantwortung bzw. Mitverantwortung. Ein Anspruch auf Menschenwürde z.B. ist ohne ein deutliches Bekenntnis zum Humanismus als ethische Orientierung nicht verantwortlich, denn Humanismus braucht möglichst viele praktizierende Humanisten, um bekannt und gesellschaftlich wirksam zu werden und zu bleiben.

In diesem hier vorliegenden Projekt "Who-is-Hu - Gesichter gegenwärtiger Humanisten" sind bisher rund 400 Personen vertreten, davon 48 in "Epikurs Garten". Von diesen 48 bekennen sich auf die Frage "Wie bezeichnen Sie Ihre Weltanschauung?" lediglich 22 zum Humanismus. 8 zum Atheismus, 6 als Naturalisten, 2 Agnostiker, 2 ungläubig, 1 Freidenker, 1 Gottloser, 1 Heide, 5 bleiben ohne Bekenntnis. Das gibt zu denken! –

*) - Anmerkung Evelin Frerk am Textende

Demnach hat sich aus der Gruppe von ca. 400 Teilnehmern des Projektes "Gesichter gegenwärtiger Humanisten" eine Auslese von 5,5% herausgebildet, die eindeutig den Humanismus als ihre Weltanschauung nennen - wenn sie danach gefragt werden. 94,5% der Teilnehmer bekennen sich nicht ausdrücklich zum Humanismus. Liegt es an den Begriffen "Weltanschauung" oder "Humanismus", dass nur so wenige Humanisten sich auch dazu bekennen?

In einem Rundbrief (1/2009) war zu lesen: "... Vor etwa zehn Jahren gab es beim bfg Bayern Überlegungen, sich dem neugegründeten Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) anzuschließen. Selbst der bfg Kulmbach/Bayreuth war dazu nicht abgeneigt. Schließlich hat er das sein lassen, weil er der Meinung ist, dass Humanismus ein zu hoher Wert ist, mit dem man nicht leichtfertig umgehen sollte. Schließlich sind und bleiben wir Menschen mit allen Schwächen und Fehlern. ..."

Ein Philosoph schrieb in einem Leserbrief: "Nein zum Bekenntnis. Ich bedaure die Fixierung auf den Bekenntnisbegriff, der für mein Sprachverständnis zu dicht am Religiösen, Glaubensmäßigen haftet ... Humanismus ist eine weltanschauliche Überzeugung. Ich bin Humanist, ... aber eben kein bekennender Humanist, der seinen Humanismus wie eine Monstranz vor sich her trägt. ... Wir pflegen den Humanismus, ohne uns zu ihm quasireligiös bekennen zu müssen."

Auf der Homepage eines politisch interessierten Religionskritikers ist zu lesen: "... Ich SCHÄME mich, nicht meiner Nacktheit wegen, sondern weil ich weiss, ich bin ein Mensch. ..."

Hier wird deutlich, wie wichtig Aufklärung ist und bleibt, um die geistigen Grundlagen verantwortlicher Menschlichkeit zu verbreiten. Zumindest für die bekennenden Humanisten in diesem Projekt "Who is Hu" wäre es eine echte Aufgabe, Arbeitskreise zu bilden, um konkrete Möglichkeiten hierfür zu erkunden.

Praktischer Humanismus

Ja, ich halte es für sinnvoll, für möglich und notwendig. Angesichts der ethischen Verwahrlosung der Zivilisationen sowie der ständigen Gewalt zwischen verschiedenen Religionsgruppen und innerhalb derselben - z.B. durch rituelle Zwangsbeschneidung bei unschuldigen Kindern - ist es geradezu unterlassene Hilfeleistung, nicht auf humanere Möglichkeiten einer ethischen Orientierung hinzuweisen und beispielsweise zum separierenden Christentum, Judentum und Islam endlich auch das alle vereinende universale Menschentum anzubieten.

Wenn ja: wie?
Durch Vorleben und deutliches Bekenntnis, in Gesprächen, mit Leserbriefen, Petitionen (z.B. www.humanistische-aktion.de/pet.htm)

mit eigenen Texten im Internet (z.B. www.Humanistische-Aktion.de) und als Buch (z.B. www.Wachstum-an-Menschlichkeit.de)

Beispiel Leserbrief zum Thema Leitkultur:
"Wenn eine Kultur zum Zwang führt, schränkt sie die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein und verstößt damit gegen die Menschenwürde. Sie kann so zu einer Leid-Kultur werden. Eine Leit-Kultur dagegen sollte dazu führen, die Menschenwürde zu achten. Dies kann sie bereits mit ihrem Namen deutlich machen. Multikultur besagt hier nichts, wohl aber ein Begriff wie humanistische Kultur. Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschwürdiger Lebensverhältnisse dient. Eine humanistische Kultur als Leitkultur ermöglicht die individuelle Entfaltung der Persönlichkeiten, ohne die Personen in einschränkende und voneinander trennende Klassen einzuordnen."

Beispiel 2:.Leserbrief zum Thema Bekenntnis
"Wer erkannt hat, daß Humanismus - als Weltanschauung und ethische Orientierung verstanden - ein Denken, Fühlen und Handeln ist, das sich an der Würde des Menschen orientiert und die Bildung verantwortlicher Menschlichkeit fördert, der wird auch verstehen können, wie wichtig es ist, diese Möglichkeit der universalen Orientierung am Humanismus weiter bekannt zu machen in der demokratisch verfassten Gesellschaft unserer Kulturnation, die zu 2/3 aus Christen und zu 1/3 aus Konfessionslosen besteht.

Humanismus ist unter den Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen und sonstigen geistigen Rückbindungen diejenige ethische Orientierung, deren Name bereits den direkten Weg und das eigentliche Ziel sinnvollen Handelns enthält und deren Maßstäbe real, plausibel und wissenschaftlich haltbar zu begründen sind. Deshalb ist Humanismus ein echtes alternatives Bekenntnis, das eines mündigen Bürgers würdig ist.

In seinem Buch 'Humanismus als reale Utopie' schrieb Erich Fromm: "Der Mensch steht heute vor der Wahl: Entweder wählt er das Leben und ist zur neuen Erfahrung von Humanismus fähig, oder die neue "eine Welt" wird nicht gelingen."

Haben wir den Mut, uns - über alle traditionellen Abgrenzungen und kleinlichen Vorbehalte hinweg - deutlich zum Humanismus zu bekennen! Er gehört zu unserer Gesellschaft."

Beispiel 3: Leserbrief zum Thema "Humanistische Lebensauffassungen"
"Ein Humanist ist nicht konfessionslos.
In dem Artikel über Werte und Ideale hieß es u.a.: "wir sind nicht religiös" sowie "ein gültiges Regelwerk dürfe man nicht erwarten, Dogmen, Lehrsätze und Sprachregelungen seien den Humanisten fremd". Hier klingt noch der alte abgrenzende Geist der Freidenker an, der - nicht zu Ende denkend - in dem Glauben beharrt, mit der Ablehnung von Worthülsen wie "religiös" gleichzeitig auch deren missliebige Inhalte beseitigen zu können (siehe "Religionsfreie Zone" und "glaubst du noch oder denkst du schon"). Womit immer wieder die alte Sprachregelung verstärkt wird, nach der Religion nur mit einem jenseitigen Gott zu denken ist, was eine inhaltliche Aufklärung und Weiterentwicklung in diesen Bereichen eher behindert als fördert.

Ein Humanist hat es nicht nötig, seine Identität durch Abgrenzungen zu sichern und wird eine neue, kritische und zugleich verbindlichere Auseinandersetzung mit seinen andersdenkenden Mitmenschen anstreben. Dazu braucht er neben Fairness auch anschauliche, überzeugende und durch wiederholten Gebrauch verinnerlichte Argumente zur inhaltlichen Darstellung der eigenen alternativen Angebote. Anstatt einem ernsthaften Gesprächspartner seinen Gott für nichtexistent zu erklären wird er fragen: "was verstehst du unter Gott?" und als seinen eigenen höchsten Wert "verantwortliche Menschlichkeit" gegenüber stellen und diesen erläutern. So könnte aus einem bisher oft oberflächlichen Schlagabtausch endlich ein differenzierterer Dialog über alte und neue Begriffe und Inhalte ethischer Orientierungen entstehen.

Was heißt denn eigentlich "nicht religiös"? Es heißt "nicht rückbindend". Ein praktizierender Humanist aber bindet sich geistig und emotional zurück z.B. an den Grund-, Lehr- oder Leitsatz oder -gedanken: "Humanismus ist ein Denken und Handeln, das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient." Aus diesem Leit- oder Grundgedanken kann er alles weitere entnehmen und entwickeln, was für eine Begriffsbestimmung des Humanismus als ethische Orientierung sowie für das entsprechende Umsetzen dieses Bekenntnisses erforderlich ist.

Mit diesem ausdrücklichen Bekenntnis ist ein Humanist auch nicht konfessionslos und tritt seinem inhaltlichen Anspruch entsprechend in dieser seiner Gesellschaft - und auch global gültig - als Alternative deutlicher in Erscheinung. Bei einem Prozentsatz von etwa 0,12 der Bevölkerung gegenüber etwa 30% Konfessionsloser ist das besonders wichtig. Er ist auch kein Ungläubiger weil er sagen kann: "Wenn es heute einen Glauben gibt, der vertretbar ist, dann ist es der Glaube an die Bildungsfähigkeit des Menschen zu einem sozial und ökologisch handelnden, mündigen Gemeinschaftswesen und daran, daß die Natur den Menschen nicht braucht, wohl aber der Mensch die Natur." Ohne diesen vernünftigen Glauben ist Stabilität und Weiterentwicklung in einer demokratischen Kultur schwer möglich.

Ein weiterer wichtiger Leitgedanke für Humanisten lautet: "Mündigkeit bedeutet mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern auch zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen." Dieser Lehrsatz ermöglicht bzw. erleichtert es, hinter die eigenen, ganz persönlichen Antriebe und auch Widerstände des Handelns zu schauen.

Die Fußnote zu dem o.a. Artikel besagt, dass dieser Text aus einer NDR-Radiosendung des HV Niedersachsen entstand. Hierin hieß es u. a.: "... einen gemeinsamen Sinn des Lebens, wie ihn die Religion vorgibt, erkennen sie nicht an. Nach humanistischem Selbstverständnis muss jeder Mensch seinem eigenen Leben einen Sinn geben." Ich denke, dass hier bei dieser grundsätzlichen philosophischen Frage aller Fragen durchaus ein konkreterer und zugleich allgemeingültiger Grundsatz formuliert werden kann und gerade von Humanisten angeboten werden sollte, nämlich: "Sinn unseres Lebens ist größtmögliche Entfaltung und Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit in größtmöglicher Harmonie und Verbundenheit zu unserer Mitwelt."

Selbstbestimmtes Leben und selbstbestimmtes Sterben

"Jeder Mensch hat das Recht, Zeitpunkt und Art der Beendigung seines Lebens selbst zu bestimmen." (mein Vorschlag für einen Absatz 3 in Artikel 2 Grundgesetz)

Die zunehmende - bisher in diesem Ausmaß noch nie dagewesene - Überalterung unserer Gesellschaft und der schon jetzt bestehende menschenunwürdige Pflegenotstand könnten uns sehr bald dazu veranlassen, den Suizid auch so sehen zu lernen wie eine Auswanderung ohne Rückkehr und diese Handlung entsprechend zu kultivieren.

Es gibt Kulturen (Indianer, Japaner), in denen es normal ist, daß sich alte Menschen verabschieden und gehen. Es gibt sogar Stämme, bei denen Menschen im Alter von 30 Jahren Schluss machen, wenn ihnen - aus unserer Sicht verhältnismäßig geringfügige - Missgeschicke widerfahren.

Es wäre wichtig, solche konkreten Beispiele zu sammeln und öffentlich zu diskutieren, um menschenwürdige Lösungen zu finden. Was derzeit im Fernsehen an Missständen aus Pflegeheimen gezeigt wird, das ist untragbar, und es wird ganz sicher nicht besser werden. Und selbst bei einer noch so guten, ja vielleicht sogar idealen Pflege wird es Menschen geben, die für sich selbst - nach einem erfüllten Leben - ein Leben ausschließlich im Bett für nicht mehr lebenswert und menschenwürdig befinden.

In einer hochstehenden Kultur sollte es nicht nötig sein, einen sorgfältig durchdachten Suizid hinter einem Unfall verbergen zu müssen, um die Mitmenschen vor Schuldgefühlen oder gar Strafen zu schützen.

 

Was schadet der Gesellschaft aktuell am meisten

Am meisten schadet der Mangel an Qualität des Menschlichen, an Mündigkeit, an verantwortlicher Menschlichkeit, an ethischer Menschenbildung.
Ursächlich sind es ja nicht mangelhafte gesellschaftliche Systeme, sondern ethisch ungenügend gebildete Menschen, die diese Systeme benutzen oder sich durch diese ausnutzen lassen und sich nicht dagegen wehren.
So kommt es, daß in unserer Gesellschaft Unaufrichtigkeit, Scheinheiligkeit, Gier, Betrug, Bestechung, Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Gewalt, Unsicherheit und Angst, Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit, Unglaubwürdigkeit, Täuschung und Selbsttäuschung sowie auch der Mangel an kritischer Selbstwahrnehmung, eine große Rolle spielen.
Unserer Gesellschaft schadet die Profitorientierung und der Zerfall des Zusammenhaltes ihrer Strukturen auf den verschiedensten Gebieten wie z.B. der Familie, sowie das Entstehen von Parallelgesellschaften.

Stille bzw. unbekannte Humanisten

Dr. Wolfgang Fischer, http://mensch-sein.de/ http://emanzipationhumanum.de/

Dr. Hubertus Mynarek,
http://de.wikipedia.org/wiki/Mynarek
https://who-is-hu.de/node/477

Thea Dorn, http://de.wikipedia.org/wiki/Thea_Dorn

Dr. Juli Zeh, http://www.juli-zeh.de/

Unter den verstorbenen Humanisten ist nach meiner Meinung Erich Fromm noch viel zu wenig genannt. (Humanismus als reale Utopie - Der Glaube an den Menschen).http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Fromm

Humanismus und Spiritualität

Spiritualität (nicht Spiritismus!) bedeutet Geistigkeit und ist damit etwas ganz wesentlich Menschliches. Zu deren Entfaltung (Spiritus rector) braucht es neben der Natur und dem stillen Kämmerlein auch Begegnungsstätten oder Versammlungsräume, möglichst im Besitz von humanistischen Vereinigungen, um kommerziell, politisch und konfessionell unabhängig zu sein, evtl. in Kombination mit Schulen oder Kindergärten, die am Abend, an Sonn- und Feiertagen meist leer stehen.

Zukunft und Wünsche

Die Zukunft des Humanismus ist unendlich groß, sie hängt aber ab von der Kraft und dem gesellschaftlichen Einfluss derjenigen Menschen, die diesen Humanismus leben und als ethische Orientierung vertreten. Und zwar nicht nur anonym im Verborgenen, sondern auch als öffentliches Bekenntnis und als politische Aufgabe. Humanismus braucht aktive Humanisten.

Ich wünsche mir, daß möglichst viele der 30% Konfessionslosen in unserer Gesellschaft, besonders von Freidenkern, Freigeistern und Freireligiösen sowie Giordano-Bruno-Stiftung-Anhängern über ihren persönlichen Bedarf hinaus die Wichtigkeit eines deutlichen, öffentlichen Bekenntnisses zum Humanismus erkennen und entsprechenden Vereinigungen beitreten bzw. solche gründen und auch mit eigenen Portalen im Internet auftreten, um die Möglichkeit einer ethischen Orientierung am Humanismus in der Gesellschaft mehr als bisher bekannt zu machen in dem Gedanken, dass ein Bekenntnis zum Humanismus als ethische Orientierung ein Zeichen der Verbundenheit mit allen Menschen ist und ein Anspruch auf Menschenwürde ohne ein klares Bekenntnis zum Humanismus ein schwer vorstellbarer ist.

"Ich wünsche mir Mitbürger, die bereit sind, Merkmale zusammenzutragen, zu diskutieren und zu verbreiten, die für eine Religion der Vernunft und des Erwachsenseins stehen können, um damit die Möglichkeit der Alternative und der Erneuerungsdringlichkeit traditioneller Religionen aufzuzeigen gemäß der Erkenntnis: "Jede tiefere Religiosität wird denkend, jedes wahrhaft tiefe Denken wird religiös." (Albert Schweitzer).

Religion bedeutet Rückbindung, geistig-emotionale Rückbindung des Einzelnen an das Weltganze mit der grundlegenden Erkenntnis und dem Gefühl, ein Teil von diesem Ganzen zu sein, um die Bereitschaft, für sich selbst die volle Verantwortung und für die Mitwelt eine Mitverantwortung zu übernehmen.

Auch organisierte Religion kann der freien Gemeinschaftsbildung und nachhaltig dem Frieden dienen. Sie muß aber hinterfragbar und entwicklungsfähig sein, darf nicht gegen Menschenrechte verstoßen, sollte die individuelle Entwicklung verantwortlicher Menschlichkeit zur Stärkung der Identität fördern und voneinander abgrenzende Merkmale der Gemeinschaften zugunsten gemeinsamer humaner und ökologischer Ziele überwinden.

"Es gibt nur eine Welt, nur eine Menschheit mit über 7 Milliarden Menschen, die alle verschieden sind und bleiben, selbst wenn sie eines Tages nur noch einer universellen Kultur und einer alle vereinenden Religion der Vernunft, z.B. einer humanistischen angehören sollten. Denn "Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern welcher keiner bedarf und wohl selbst eine machen könnte." (Friedrich Schleiermacher)

"Wir sind auf der Suche, jeder für sich und alle gemeinsam, um Ganzheit in uns und in unserem Leben zu schaffen, sie in uns zu entdecken und freizusetzen - ein Prozess der Gemeinschaft und Erziehung. Was geschaffen wird, wird nicht Trennung, Streit und Ungleichheit zwischen den Völkern sein, sondern Ganzheit, Einheit, Friede; eine neue Erde für die Menschheit, welche die Einheit und Ganzheit der Erde widerspiegelt, wie sie seit Anbeginn besteht." (David Spangler)

"... jeder von uns muß es spüren, wann die Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handle, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem. Fühlt er es nicht, so muss er es fühlen lernen. Beim einzelnen liegt die große Entscheidung. ... Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt." (Erich Kästner)

"Die größte Angelegenheit des Menschen ist, zu wissen, wie er seine Stelle in der Welt gehörig und recht verstehe, was man sein muss, um Mensch zu sein." (Immanuel Kant)

Antworten © Rudolf Kuhr
„Epikurs Garten” - „Who is Hu” - Gesichter gegenwärtiger Humanisten © Evelin Frerk (784)

Epikurs Garten - Rudolf Kuhr