Christoph Zehntner
Christoph Zehntner
... ich bin ein humanistischer Lberaler
- Selbstdefinition
Spontan spräche ich von Liberalismus. Da es für mich aber Impulse zur Offenen Gesellschaft in globalem Rahmen schon in der Griechischen Antike gibt, in der Stoa beispielsweise, wo Zenon schon um 300 vor unserer Zeit einen "Weltstaat" von einzelnen, sittlich frei gewordenen Menschen postuliert, aus denen ein riesiger Verband werden sollte, in dem die weniger Weisen durch Vorbild erzogen würden, liesse sich auch von Humanismus sprechen. Sagen wir: Ich bin ein humanistischer Liberaler.
- Entscheidende Erfahrungen
Im Laufe der Zeit. Durch Erfahrungen und Überlegungen ist meine Weltanschauung entstanden. Eine wesentliche Erfahrung dürfte dabei die der Verführungskraft einer in ihrer Praxis menschenverachtenden Ideologie gewesen sein. Ich spreche von der Verführungskraft des Sozialismus.
- Elitär
Freiheits- und Persönlichkeitsrechte sind nie und nirgends selbstverständlich. Wissen können wir dies zum Beispiel durch den Untergang der Weimarer Republik. Wobei der Begriff einer "wertphilosophischen Ethik" für mich nicht klar ist. In der Offenen Gesellschaft, Zivil- oder Bürgergesellschaft, wie wir sie in Deutschland und in der Schweiz, und ausserdem ja heute schon, und glücklicherweise noch immer, in den meisten Europäischen Staaten vorfinden, sind die in der Frage angesprochenen "kooperativen Strukturen" vorhanden. Es geht einzig darum, sie verantwortungsvoll zu nutzen. Eine offene Frage bleibt für mich in diesem Zusammenhang, ob es sinnvoll ist, den Begriff des Humanismus in einer Art zu reduzieren, dass er quasi zu einem Synonym von Agnostizismus oder auch Atheismus wird.
- Religiöse Zwänge
Nein, ich war nie solchen Zwängen unterworfen.
- Konkrete Eigenerfahrungen mit Religiosität
Ja, sicher verfüge ich über solche Erfahrungen! Wie wohl alle Menschen. Die weitaus meisten dieser Erfahrungen sind besorgniserregend: Selbstmordattentate von "Jihadisten"; Zwist zwischen Anhängern verschiedener Religionsgemeinschaften oder -richtungen; Antismemitismus; Schwulen und Lesben-Bashing. Es sind Erfahrungen vor allem politisch instrumentalisierter Religiosität.
Daneben mache ich auch positive Erfahrungen mit Religiosität, in persönlichen Begegnungen mit religiösen Menschen. Mit einigen von ihnen bin ich befreundet.
Einen "Wunsch nach Glauben" habe ich nicht. Wobei ich mir bewusst bin, wie stark Glaube die institutionalisierte Wirklichkeit von uns Menschen bestimmt. So beruht zum Beispiel der Wert des Geldes allein auf Glaube. Es könnte zwar so aussehen, als würde dieser durch die Kaufkraft bestimmt. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt: Die Kaufkraft des Geldes wird durch den Glauben an seinen Wert bestimmt.
Der Glaube der Finanzmärkte an die Kreditwürdigkeit eines Staates bestimmt die Höhe der Zinsen usw. Kurz: Die menschliche Welt beruht wesentlich auf Behauptungen und Glaube.
Wobei der freie Mensch sich dadurch auszeichnet, dass er seinen Glauben in Zweifel ziehen und kritisch reflektieren kann. Ich bin so frei.
- Glaubensfreie Alternativen
Nein, keine
- Freiheit, eigene Wünsche und Gedanken zu leben
Ich bin diesbezüglich privilegiert, und ich geniesse meine Freiheit tagtäglich.
- Zusammenhang zwischen Humanismus und Aufklärung
Durch die Aufklärung kamen neue Impulse in den Humanismus, wie auch in den Liberalismus.
Zur zweiten Frage ganz allgemein: In Freiheit wird der Mensch verantwortlich. Offen bleibt dabei, wie weit Menschen in Freiheit ihre Verantwortung auch wahrnehmen. Unabhängig davon, ob sie sich Humanisten oder Liberale nennen. Viel soziale Verantwortung wird bis heute noch immer an Institutionen, namentlich an den Staat, delegiert.
- Praktischer Humanismus
Ich halte das durchaus für sinnvoll und möglich. Wie?
Möglichst undogmatisch, in Offenheit für andere Meinungen und Lebenswelten. In Wort und Tat. Beispielsweise durch mein nächtes Buch "Krise und Kritik".
- Selbstbestimmtes Leben und selbstbestimmtes Sterben
Ich lebe gerne, und so weit wie immer möglich, selbstbestimmt. Hoffentlich bis zum Zeitpunkt, zu dem ich sterben werde.
- Was schadet der Gesellschaft aktuell am meisten
Das ist nicht leicht zu sagen, denn wir leben in einer globalisierten, dynamischen Welt. Sorge bereiten kann zur Zeit, (Oktober 2012), die Hyperinflation im Iran, wie auch dessen Atomprogramm. Nicht weniger die Unruhen in Syrien. Denn Krieg, oder eine Ausweitung von kriegerischen oder bürgerkriegsähnlichen Konflikten, kann nie ausgeschlossen werden.
Grosse, ungelöste Probleme haben wir zur Zeit in Europa mit der hohen Verschuldung verschiedener Staaten und ("systemrelevanter") Banken, hoher Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit; Probleme durch Austeritätsdruck bei gleichzeitiger Wachstumsnotwendigkeit der Volkswirtschaften. In dieser Krisensituation ist die freiheitliche Ordnung tendenziell zunehmend mehr gefährdet.
- Stille bzw. unbekannte Humanisten
Ich denke, es gibt sehr viele. Menschen mit einer humanistischen Gesinnung, die für sie so selbstverständlich ist, dass sie gar nie auf die Idee kämen, sich als Humanisten zu bezeichnen. Ich zähle mich selber zu diesen.
Wobei – "verkannt"? Von wem denn verkannt? Von den offiziellen Humanisten?
- Humanismus und Spiritualität
Wie ein Wohnzimmer, ein Bett, ein Platz irgendwo am Meer . . .
- Zukunft und Wünsche
In Anlehnung an ein Zitat von Antonio Gramsci: Es braucht nüchterne, geduldige, tolerante Menschen, die nicht verzweifeln angesichts der Lage der Welt. "Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens."