Stefan Schritt
Stefan Schritt
... Humanismus - Fähigkeit ... sich weiterzuentwickeln, sich zu entfalten
- Selbstdefinition
Kaum ein Mensch passt in eine vorgefertigte Schublade, ich bin da keine Ausnahme. Mir ist immer ein wenig unwohl bei dem Versuch, mit diesen Schablonen zu jonglieren. Ob Humanist es trifft? Vermutlich. Wahrscheinlich sogar recht gut. Humanismus beinhaltet die Fähigkeit des Menschen, sich weiterzuentwickeln, sich zu entfalten. Das bietet Raum für ganz unterschiedliche Denkansätze und Sichtweisen. Ich würde sagen, ich bin Humanist, so wie ein Baum ein Baum ist. Der Stamm ist ihnen allen gemein, aber erst in der Gesamtheit von Ästen und Blättern offenbart sich das eigentliche Gewächs.
- Entscheidende Erfahrungen
Ich hatte das große Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem Bildung und Wissen ein hochgeschätztes Gut waren, denn auch Lernen ist etwas, das man lernen und üben muss. Das erste "richtige" Buch, das ich mit meiner Kindheit verknüpfe, war ein 25-bändiges Lexikon - und für mich wie ein Tor zu einer faszinierenden, unfassbar großen Welt. Es hat mich vor allem eines gelehrt: es gibt immer etwas, was du noch nicht weißt.
Den Grundstein zum Atheismus legte ausgerechnet ein sehr gläubiger Freund meiner ebenfalls gläubigen Eltern. Ich muss ungefähr 10 gewesen sein, als er mir vom Allmachtsparadoxon erzählte - der berüchtigte Stein, den Gott selbst nicht heben kann. An den Zusammenhang kann ich mich nicht mehr erinnern, aber deutlicher hätte er mir "Zweifle! Hinterfrage!" nicht zurufen können. Es war der Tag, an dem ich begann, all das zu analysieren, was man mir über Gott und die Bibel erzählt hatte.
- Elitär
Ich denke, Glaubensfreiheit ist alles andere als elitär. Je mehr ein Mensch sich mit dem wirklichen Leben konfrontiert sieht, desto realistischer und pragmatischer kann er Moral und Ethik beurteilen. Leider krankt die Vermittlung humanistischen Gedankenguts allzu oft an der Darreichungsform. Im Gegensatz zu den eigentlichen Inhalten sind viele gute Texte nämlich in der Tat elitär. Den sprichwörtlichen "Mann auf der Straße" wird man mit eloquenten Formulierungen und Fremdworten eher verschrecken, als daß man ihm das geschriebene nahebringen könnte. Wer die breite Masse erreichen möchte, muss sich ihrem sprachlichen Niveau anpassen und Sorge dafür tragen, daß die Aussagen auch ohne philosophische Vorkenntnisse verdaulich bleiben.
- Religiöse Zwänge
Das, was in meinem Leben einem religiösen Zwang am nächsten kommt, ist meine Konfirmation. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits Atheist, und hätte den Konfirmandenunterricht sicherlich abgebrochen, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, meine Eltern damit zu enttäuschen. Fairerweise muss ich gestehen, daß auch die Aussicht auf monetäre Konfirmationsgeschenke hierbei ein Faktor war, auch wenn ich sicher bin, daß ich mich auch ohne diese wohl meinen Eltern zuliebe hätte konfimieren lassen,
- Konkrete Eigenerfahrungen mit Religiosität
Ich komme aus einer gläubigen Familie, und bin dort bis heute der einzige Atheist. Und auch wenn ich große Toleranz erfahre, so ist doch echtes Verständnis eher die Ausnahme als die Regel. So wünscht man mir noch immer Gottes Segen - verbunden mit einer Entschuldigung, daß man das tut, und dem Ausdruck des Bedauerns, daß ich andere Ansichten habe. Zuweilen bedauere ich, daß mir die Fähigkeit abhanden gekommen ist, mich in das emotionale Netz religiöser Überzeugungen fallen lassen zu können. Ich mache mir da nichts vor - in der Zeitung vom Tod eines Kindes zu lesen wäre weniger bedrückend, wenn ich daran glauben könnte, daß es nun an einem besseren Ort ist. Das sind die Momente, in denen ich die wahrhaft Gläubigen um den Trost beneide, den ihnen ihre Vorstellungswelt zuteil werden lässt.
- Glaubensfreie Alternativen
Ich kenne kein religiöses Ritual, das für mich eine Bedeutung hätte, weshalb für mich eine glaubensfreie Alternative keinen Sinn ergäbe.
- Freiheit, eigene Wünsche und Gedanken zu leben
Eigene Wünsche und Gedanken zu leben ist eine nach oben offene Konstruktion. Je mehr Freiheit man erlebt, desto bewusster wird einem das Korsett aus Pflichten und Verantwortung, das einen einschnürt. Freiheit kann eine Droge sein, wenn man sich nicht immer wieder vor Augen hält, dass sie ohne Verantwortung und Pflichten nicht existieren kann. Für mich bedeutet eine Balance zwischen beidem, keinem von ihnen eine beherrschende Stellung einzuräumen. Die Bereitschaft, los zu lassen, wenn eine Pflicht zur Belastung wird, stellt einen elementaren Baustein meines Lebens dar, ebenso wie die Selbstbeherrschung, dies nicht als bequemen Fluchtweg zu missbrauchen. Diese Balance ist ein Luxus, der mir Entspanntheit und innere Ruhe gibt.
- Zusammenhang zwischen Humanismus und Aufklärung
Aufklärung ist eine wichtige Triebfeder des Humanismus, und gleichzeitig benötigt sie ihn. Je weniger man sich auf überlieferte Dogmen stützt, desto wichtiger wird die persönliche Verantwortung. Der Humanismus ist der Leitstrahl, an dem sich die Gesellschaft orientiert, wenn althergebrachte Regelwerke an Bedeutung verlieren. Menschlichkeit und gesunder Menschenverstand als Basis des Humanismus sind der adäquate Ersatz für religiöse Doktrinen, die ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben.
- Praktischer Humanismus
Anderen Menschen einen Weg aufzuzeigen, wie man ohne die Zwangsjacke religiöser Vorstellungen glücklich leben kann, ist meines Erachtens nach den Aufwand wert. Der beste Weg, so meine ich, ist dabei die Entlarvung spiritueller Mythen. Religion steht im Widerspruch, sowohl zu sich selbst als auch zu dem, was wir heute als menschliche Werte betrachten. Diese Widersprüche gilt es den Menschen vor Augen zu führen, damit sie selber erkennen können, dass ein Leben ohne Religion nicht nur möglich, sondern auch lebenswerter ist.
- Selbstbestimmtes Leben und selbstbestimmtes Sterben
Für mich ist beides elementar und untrennbar. Jedem Menschen gebührt das Recht, über sein eigenes Leben und auch seinen eigenen Tod zu bestimmen, sofern er dazu rational in der Lage ist. Den Freitod aus ein
- Was schadet der Gesellschaft aktuell am meisten
Das gleiche, was der Menschheit schon immer am meisten geschadet hat: die Schattenseiten der menschlichen Natur. Gier, Neid, Hass und Egoismus. In welcher Form sie daherkommen und wie sie sich äußern ist fast schon nebensächlich.
- Stille bzw. unbekannte Humanisten
Es gibt sicherlich viele Menschen, die man hier aufzählen könnte. Ein wesentlicher Bestandteil des Humanismus ist das eigenverantwortliche Denken und Handeln, und grade das beschert uns eine große Zahl an Menschen, die einer Erwähnung wert wären. Zu viele, als das ich mich für einige wenige entscheiden könnte.
- Humanismus und Spiritualität
Ich war nie großer Freund ortsgebundener Besinnung. Wenn man eines lieben Menschen gedenken will, so kann man das überall tun, und zu jeder Zeit. Viele Andere bevorzugen es, einen Ort zu haben, mit dem sie ihre Besinnung verbinden können. Für mich ist es eigentlich eher umgekehrt - durch ein in-sich-gehen und einen Moment der Besinnung kann ich mich auch in der Fremde heimisch fühlen, denn Heimat ist für mich auch immer dort, wo ich mich wohl fühle. Ich denke, die Frage, ob man einen spezifischen Ort braucht, ist nur auf Basis des einzelnen Menschen zu beantworten, nicht auf der Basis seiner Weltanschauung.
- Zukunft und Wünsche
Ich denke, der moderne Humanismus wird weiter an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen. Es wäre schön zu sehen, wenn er eines Tages völlig aus dem Schatten der althergebrachten Religionen hervortreten und auch in dem Bewusstsein Aller mehr sein kann als nur "nicht religiös". Den Predigern ihren Rang abzulaufen wird ein langwieriges Unterfangen sein, und ich wünsche mir, dass es von Erfolg gekrönt ist. Wenn alle Menschen einfach nur Mensch sind, ohne herbei fabulierte Unterschiede, dann hat der Humanismus sein Ziel erreicht.